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Tonbänder der BOLSA-Studie in der Uni Heidelberg 2015, gefunden und fotografiert von Christina von Hodenberg

Alle Menschen müssen sterben, vielleicht auch ich.

Die Jahrhundertwendegeneration in vier Langzeitporträts.

von Sonya Schönberger und Norbert Lang

 

 

Sie sind im Kaiserreich geboren, waren zur Zeit des Ersten Weltkriegs Jugendliche, im Zweiten Weltkrieg bereits erwachsen und haben danach die Bundesrepublik aufgebaut. Doch abgesehen von einigen Stereotypen weiß man recht wenig über diese Generation: Waren sie wirklich so konservativ, wie sie von den 68ern oft beschrieben wurden? Wie haben sie gelebt und gedacht? Wie standen sie zum Altern und zum Tod? Zu Freundschaft, Ehe, Liebe und Sex? Das vierteilige Feature nähert sich dieser Generation mit Hilfe von Tonaufnahmen aus der Bonner Längsschnittstudie des Alterns (BOLSA), für die zwischen 1965 und 1984 Interviews mit älteren Menschen durchgeführt wurden. Das Besondere der Studie: Viele Teilnehmer:innen wurden über mehrere Jahre hinweg immer wieder ausführlich zu vielfältigen Lebensthemen befragt. Es entstand eine Langzeitbeobachtung einer alternden Generation beim Altern selbst.

Vier der damaligen Studienteilnehmer:innen wurden mit ihren Lebensgeschichten für dieses Feature ausgewählt. In der ersten Folge stellen wir Frau Rahm vor, eine „gepflegte, ältere Dame, die auf sich hält, sich geschickt kleidet“. Im Riga der 1920er Jahre baute sie eine gefragte Schneiderei auf, während des Zweiten Weltkrieges erhielt sie das Geschäft von enteigneten Polen. Nach 1945 wurde sie aus Polen ausgewiesen und kam nach Deutschland. Sie geriet in Armut und ließ sich von ihrem Mann scheiden.

Im Anschluss führen wir ein Gespräch mit der Historikerin Christina von Hodenberg. Sie stieß 2014 bei Forschungen zur Alt-68er Generation auf das BOLSA-Archiv, das bis dahin fast vergessen war. Seitdem hat sie große Teile des Archivs selbst gesichtet und auch die Digitalisierung des umfangreichen Tonarchivs gemeinsam mit der Universität Halle auf den Weg gebracht.

In der zweiten Folge stellen wir Herrn Jäger vor, der 1905 in Ostpreußen als Sohn eines Rottenarbeiters bei der Bahn in sehr ärmlichen Verhältnissen geboren wurde. Er schafft es, in seiner Heimat eine erste Schreinerei gegen den Widerstand seiner Familie aufzubauen, obwohl er dafür viele Hürden nehmen muss. Er heiratet spät, aber wie er sagt die Richtige, mit der er sechs Kinder bekommt. Während er in Gefangenschaft ist, flieht die Familie. Sie kommen wieder zusammen und er schafft es, erneut einen sehr erfolgreichen Betrieb im Rheinland aufzubauen.

Herr Jäger hieß übrigens anders – in den BOLSA-Unterlagen erhielten alle Teilnehmenden Pseudonyme.

Im Anschluss führen wir ein Gespräch mit der Anglistin und Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann. In ihrer Forschungsarbeit geht es viel um kollektive Erinnerung, um das Vergessen und um den Begriff der Generation. Aus dieser Perspektive spricht sie mit uns über die Prägungen der Generation, die von der BOLSA-Studie erforscht wurde.

Frau Urban wird 1890 geboren und sieht als Kind den Zaren und seine Familie an ihr vorbeireiten. 1920 heiratet sie, ihr Mann verlässt sie jedoch während der Nazizeit aufgrund ihrer jüdischen Herkunft. Sie überlebt Theresienstadt, kommt zurück nach Heidelberg, wo ihr Ex-Mann nun mit seiner neuen Frau lebt. Sie schafft es, ihn hinauswerfen zu lassen und lebt dort seitdem mit ihrem Sohn und dessen Familie in Harmonie. Seit ihrer traumatischen Zeit im KZ kann sie keine Nacht mehr durchschlafen.

Im Anschluss führen wir ein Gespräch mit der Sozialwissenschaftlerin und Psychologin Insa Fooken. Zwischen 1977 und 1980 war sie selbst wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bonner Längsschnittstudie des Alterns. Während ihrer wissenschaftlichen Laufbahn blieb das Thema Altern ein Schwerpunkt ihrer Forschung. Mit dem heutigen zeitlichen Abstand gibt sie Einschätzungen darüber, was die BOLSA-Studie wollte und was sie erbracht hat.

Frau Hölderin wurde 1894 in Mannheim in einfache Verhältnisse geboren und führte 30 Jahre lang ein Gardinengeschäft. Die wenigen Jahre mit ihrem verstorbenen Mann bezeichnet sie als die „einzig schöne Zeit im Leben“. Über 26 Jahre lang wird sie für die wissenschaftlichen Studie interviewt, in der letzten Aufnahme 1991 klagt sie über ihr Leben im Altersheim und sehnt sich wiederholt nach dem Tod. Diese Aufnahme ist auch die letzte, die im Rahmen der Studie geführt wurde.

Im Anschluss setzen wir unser Gespräch mit der Historikerin Christina von Hodenberg fort, die das fast vergessene BOLSA-Archiv wiederentdeckt und gemeinsam mit der Universität Halle digitalisiert und erforscht hat. Sie verrät uns viele Details über den Ablauf der Studie und welche Ergebnisse sie gebracht hat.

Mit besonderem Dank an Dr. Katrin Moeller und das Historische Datenzentrum Sachsen-Anhalt am Institut für Geschichte der MLU Halle-Wittenberg.

Alle Menschen müssen sterben, vielleicht auch ich
Die Jahrhundertwendegeneration in vier Langzeitporträts
Von Sonya Schönberger und Norbert Lang
Regie: die Autor:innen
Mit: Imogen Kogge, Katharina Leonore Goebel, Asad Schwarz-Msesilamba
Wissenschaftliche Beratung: Christina von Hodenberg
Ton: Norbert Lang
Produktion: Dlf Kultur 2022
 

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