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Weißenfels
66-teilige Fotoserie von Sonya Schönberger, 2022

Im Februar 2022 reisen Christof Zwiener und ich mit Katalin Gennburg nach Weißenfels. Nachdem Katalin mir von der Stadt ihrer Geburt erzählt hatte, war ich schon einmal alleine dort gewesen und fasziniert und schockiert zugleich von dieser offensichtlich einst lebenswerten, heute kaputten Stadt. Ich habe Katalin die entstandene Fotoserie gezeigt und sie erinnert sich:

Der Laden, wo ich mein Schülerpraktikum gemacht habe. Süß. Christel Deutschmann. Ich wollte etwas mit Mode machen. Es war der einzige Modeladen, obwohl die Stadt ja relativ groß war. Es war eher ein omamäßiger Laden. Die Verkäuferinnen waren so alte Muttis. Ich weiß noch, dass sie sich darüber unterhalten haben, dass sie sich auf öffentlichen Toiletten nicht hinsetzen. Solche Gespräche hatten die. Der Laden war ganz oft leer. Da war diese Christel Deutschmann, die war vor dreißig Jahren schon eine sehr betagte Person. Das war immer noch organisiert wie ein Traditionsladen in Westdeutschland. Sie fuhr auf Messen und so. Aber es war dann schon endlich, da sie nichts mehr verkauft bekommen hat. Der Laden hatte vier Zimmer, war recht groß. Es war weder meine Mode, noch meine Verkäuferinnen. Aber das war meine Kindheit, dass man immer wieder versucht, aus Scheisse Bonbon zu machen. Du versuchst immer irgendwas rauszuholen. Ich hab da zwei Wochen lang die Schaufenster dekoriert. Die fanden das ganz gut. Wir haben überhaupt nicht zusammen gepasst, aber dadurch, dass das endlich war, haben sie das vorbeiziehen lassen. Aber immer, wenn ich da bin, gehe ich hin und erinnere mich, weil das ist ein fester Marker. Der Laden steht ja bestimmt schon dreißig Jahre leer. Das würde man nicht denken, denn es liegen immer noch Dinge drin. Das erlebt man ganz oft: Die Läden sind leer, und wenn man reinschaut, denkt man, irgendjemand war gestern da. Das sieht seit dreißig Jahren so aus.

Da siehst du auch das Stadtwappen über dem Portal. Allein die Lampe weist darauf hin, dass es ein wichtiger Ort war, mit einem großen Festsaal. Man sieht auch an dem Gebäude, das es uralt ist. Weißenfels wurde ja als Residenzstadt groß unter dem Herzog, der dort mit der Schuhindustrie auch das Schloss baute und in dem Atemzug auch die Altstadt entstand. Diese Gebäude erinnern an diese Zeit und sind von außen nur noch mal verputzt worden. Aber das Gebäude selber ist richtig alt. Drinnen hat man das Gefühl, man trifft dort die königliche Gesellschaft. Es ist so verrückt, das hier in Berlin Orte beseitigt werden wie in Mitte, wo die Ostmoderne eigentlich prägend ist, wo Rekonstruktionseliten einen ideologischen Krieg gegen die Ostmoderne führen und eigentlich Luxusapartments mit historisierenden Fassaden vorgehängt hinbauen wollen. Und hier hat man dreihundert Jahre alte Häuser, die mit zwei notdürftigen - das sind ja noch nicht mal Schlösser, das sind ja nur Lochstreifen dadrüber genagelt. Und da drin sind garantiert wunderschöne Tanzsäle. Einmal im Jahr hatten wir von der Musikschule aus dort große Auftritte. Es gab auch kleine Auftritte und Vorspiele, die waren in der Musikschule selbst. Die Musikschule gibt es mittlerweile auch nicht mehr. Die war auch in einem alten Gebäude. Da war die große Bühne und da durften nur die Guten auftreten. Ich weiß noch, dass man richtig Bammel hatte. Das war ganz bedeutend, wenn man da mit auftreten durfte. Das ist so sinnbildlich dafür: Es gibt weder die Musikschule noch, noch die Musikklassen, noch den Ort, an dem das stattfinden kann. Und das er jetzt auf diese Weise vernagelt und verrammelt ist, ist nicht nur einfach traurig für Menschen wie mich, die dort ihre ersten Bühnenerfahrungen hatten, sondern ist auch Abbild einer wirklich zerfallenen Gesellschaft, das eben diese repräsentablen Orten in dieser Weise gar nicht mehr genutzt werden können, wollen, dürfen und so weiter.

Man kann ja in dieser gesamten Altstadt, die als mittelalterliche Altstadt ringsum des Schlosses existierte - denn sie existiert ja nicht mehr-, kann man davon ausgehen, dass sie natürlich in der Zeit der Schlosserbauung entstanden ist, schon vorher da war, und zum Teil überformt wurde. Das Interessante ist dieses Stadtwappen oben, denn es erscheint mir ein ostmodernes Emblem zu sein, also auch ausweist, dass es zu DDR-Zeiten noch sehr gewürdigt wurde, dass es diese Orte gibt. Gleichwohl wissen wir, dass es in der DDR schwer möglich war, die Altbauten gut in Stand zu halten, weil es einfach an Devisen und Baumaterialien fehlte und die Wohnungsnot dazu drängte, sich vor allem auf den komplexen Wohnungsbau in Form der Platten zu konzentrieren. Und dem gegenüber muss man sagen, hat es zumindest die Weißenfelser Altstadt relativ gut überstanden. Natürlich waren auch schon zu meiner Zeit viele Häuser in keinem guten Zustand und verrammelt, aber man hatte insgesamt das Gefühl, dass es gelang, diesen Ort in einem Zusammenhang zu erhalten. Es ist ja so, das diese historischen Orte wie Weißenfels zusammenbrechen und einen Zersetzungsprozeß räumlich sichtbar machen, der gesellschaftlich schon lange, lange stattfindet. Wenn Stadtraum verloren geht, geht einer der wichtigsten Identitätsräume von Menschen verloren. Weil Stadtraum ist Alltagsraum und wenn Stadtraum zerstört wird durch verschiedene Gründe - Krieg oder Wirtschaftskrise oder was auch immer -, dann hat das einen sehr starken Einfluß auf die Menschen und auch den gesellschaftlichen Zusammenhang, den man empfindet und das Gefühl hat, es ist eigentlich nichts mehr intakt. Aber die Stadt ist der Ort der Präsentation. Wir verstehen mit Erving Goffman die Stadt als Bühne: Die Menschen gehen durch die Stadt und wollen gesehen werden. Das ist der Ort, an dem man sich zeigt. Dann ist dieser Ort, wenn er kaputt ist und auch keine Bühne mehr bildet, die Dystopie. Das wirkt sich aus meiner Sicht in die tiefsten Schichten der Gesellschaft aus.

 

Nochmal der Verweis auf die Entstehungsgeschichte von Weißenfels als einem Ort der Schuhindustrie, weil unter Herzog August dort die Schuhfabrikation angesiedelt wurde, wovon das Schuhmuseum ja heute immer noch Zeugnis ablegt, wo man auch als Kind jeden Projekttag verbringen musste, entweder im Geleithaus bei dem Tuch mit dem Blut von Gustav Adolf oder im Schuhmuseum. Es ist so krass, dass man in einer Stadt groß wird, ich als Kind, 1990 eingeschult - wir reden also von einer Nachwendesozialisation -, mit Auftritten in solchen sehr alten historischen Gebäuden nach 1990, einer Schulbildung nach 1990, die aber immer sehr stark auf ein historisches Erbe rekurrierten, den Schwedenkönig, die Region, die Schuhproduktion und all diese Dinge. Und dieses Schloss ist natürlich der Mittelpunkt der historischen Altstadt, die eng mit dem Schloss verwoben ist, weil davon ausgegangen werden muss, dass so ein Gewandhaus, ein Geleithaus, in einer direkten Korrespondenz mit dem Schloss standen. Und das ganze Schlossvolk, die gesamte Entourage sich im Prinzip dort rumtrieb. Interessanterweise ist sowohl das Schloss marode als auch die Innenstadt. Und jetzt hat man eine historische Innenstadt, die völlig zerbricht, wo einzelne wichtige Säulen rausbrechen wie so ein kaputtes Gebiss, wo historische Bausubstanz unwiederbringlich verloren geht, die eigentlich Zeugnis von 300, 400 Jahren Geschichte ablegt. Und das ist diese Schizophrenie. Man hat nach 1990 wie selbstverständlich darauf gewartet, dass dieses große bedeutsame Erbe von Herzog über Schuhindustrie über wir haben es immer irgendwie geschafft, wie selbstverständlich wiederkäme. Aber es kommt nicht wieder. Und das diese Städte einfach verloren gehen und preisgegeben wurden auch vom Staat und jetzt wirklich ganz wunderschöne Häuser in Händen von Geldwäschern, Kriminellen, Banden, Briefkastenfirmen sind, die einfach nur Geld waschen, wovon man ziemlich sicher ausgehen kann. Wir haben das ja gesehen, dass eigentlich in der Innenstadt fast alle Gebäude leer stehen. Das ist dann hochsymbolisch im Zusammenhang mit diesem Schloss. Man hat nach 1990 immer wieder versucht, es zu retten. Man hat aber nur geschafft, die Hälfte des Schlosses zu sanieren, weil es so teuer ist. Das ist jetzt wie ein Symbolbild für die Schizophrenie dieser Stadt, die immer so tat, als hätte man eine so lange Geschichte, die einfach nicht kaputt gehen könne. Aber natürlich ist sie einfach kaputt gegangen, weil der Osten abgehängt wurde in einer Weise, wie er abgehängt wurde. Jetzt steht dieses Schloss mit einem sanierten und einem unsanierten Arm, und thront über dieser Stadt. Man sieht von überall, dass dieses Schloss nur zur Hälfte saniert ist. Und ich finde das so verrückt, weil es fast schon ein Kunstprojekt ist, dass da jemand nur die Hälfte eines Schlosses saniert. Wenn da ein Bauer wäre, ja, heute hab ich mal einen Ziegel gefunden, dann stopf ich jetzt mal ein Loch. Dann würde man das verstehen. Aber so ein Schloss als Wahrzeichen der Stadt oder der Region zur Hälfte unsaniert zur lassen, so das es jeder sieht, dem sollte man wirklich mal auf die Spur gehen. Wie kann das sein, das das überhaupt möglich ist? Wie denken die Leute darüber, die das jeden Tag sehen, wie finden sie das so und welche Normalität stellen sie damit her? Man kann schon sagen, dass es ein Abbild der Schizophrenie dieser Stadt ist in einer schweren, schweren Krise seit dreißig Jahren, für die es null Perspektive gibt. Die trotzdem immer noch bekannt ist für diese Tradition, die aber heute vor allem in der Innstadt dominiert wird von drogenabhängigen Kids, dubiosen Leuten und No-go-areas. Man merkt dieser Stadt einfach an, das sie verloren ist. Man fährt dahin und wird das Gefühl nicht wieder los. Das hängt über ihr. Deswegen die Frage, wie der Stadtraum das aufhängt oder abbildet, was in dieser Stadt kaputt ist. Das finde ich eine relativ wichtige Frage. Man hätte ja nach 1990 diese ganzen Häuser in Selbstverwaltung geben können. Und wir haben ja so viele schöne Orte gesehen, wo wir auch gesagt haben, hier könnte man sehr gut arbeiten, Künstlerresidenzen schaffen und so weiter. Nun kann man mit Künstlern nicht eine Stadt retten, aber man kann zumindest eine Perspektive herstellen. Und hätte man nach 1990 eine andere Perspektive hergestellt und hätte es die Möglichkeit gegeben, diese Orte finanziell zu erhalten - also wir reden hier über ein Kulturhaus - da geht es um Kommunalfinanzen. Da geht es darum, dass die Stadt kein Geld hat, was zu erhalten. Dann muss man sagen ist es wirklich ein Verbrechen am historischen Erbe, die dazu führt, das solche Orte, wie eben zum Beispiel das Kulturhaus jetzt einfach preisgegeben werden.

 

In meiner Kindheit waren wir ständig in irgendwelchen Häusern drin, haben geschaut, ob wir irgendwelche Sachen rausholen können. Es ist eine schier unüberblickbare Menge an Häusern, die leer sind, das mindestens auch ein paar kleine Reste drin sind. Das ist ja auch interessant. Wir waren ja auch in einem drin. Du hast nicht die Situation, das überall alles rausgeholt wurde, sondern man findet noch einen Schrank und noch einen Tisch. In dem Haus, in dem wir drin waren fand ich es interessant, dass da jemand noch ich 1990 versucht hat, was Neues anzufangen und was draus zu machen. Und das ist ja eine ganz wichtige Geschichte, diese neunziger Jahre, wo man versucht hat, diese Orte neu zu kodieren, wo Leute gesagt haben, das ist eine Stadt mit Geschichte, das ist eine wichtige Stadt, hier versuchen wir nochmal was aufzubauen. Die aber wirklich gescheitert sind und bis heute noch weiter scheitern, weshalb ja jetzt in der Innenstadt kaum noch Läden sind. Also eine Geschichte des Scheiterns nach 1990, die sich auch in dieser Überschreibung nochmal ablesen lässt. Du gehst in diese Häuser rein und siehst, da hat nochmal jemand Hand angelegt, da hat jemand nochmal ein neues Fenster eingebaut oder eine neue Tür oder notdürftig die Treppe geflickt. Wir sehen eigentlich eine Geschichte, des gescheiterten Öffnungsversuchs. Es wurde versucht, da noch mal reinzugehen, aber es ist nicht gelungen. Bei diesem Bild sieht man es ganz stark, mit diesem notdürftig eingebauten Treppenabsatz, dann eine neue Tür ohne Knauf. Diese Tür wirft so viele Fragen auf. Lagert dahinter etwas Wertvolles, weshalb man mindestens diese Tür eingebaut hat? Hat da jemand Geldkoffer reingestellt? Oder ist da ein Drogenlabor drin?

Ich würde dem gern auch nochmal nachgehen, weil mich das auch wurmt: Wie kann es sein, das keine Wohnung zum Kauf oder zur Miete dort zu finden sind? Das zeigt, das eine zentrale Erklärung unserer Idee von Markt falsch ist. Es gibt eben nicht Angebot und Nachfrage, sondern es ist im Grundsatz alles vergeben. Die Frage ist nur, wer hat's. Die Frage von, es ist leer und zu vergeben, die hat nichts damit zu tun. Dem Kapital steht auch nicht unbedingt ein Gebrauchswert gegenüber. Und das ist ja das Verrückte, dass diese kaputte Finanzindustrie, die uns regiert, an genau so einem Ort, wo man es am Wenigstens erwarten würde, am Sichtbarsten wird. Weil Leute, die einfach nur kriminell sind und Geld parken an so einem Ort möglicherweise ganz, ganz happy sind. Niemand wird fragen, was sie eigentlich mit diesem Haus vorhaben, weil niemand hat die Erwartung, das irgendwer von diesen Häuser noch etwas möchte. Deswegen ist das Parken von Geld in solchen Immobilien möglicherweise mega attraktiv. Man müsste das nochmal erforschen. Mir hat der Typ in der Kneipe an dem Abend erzählt, er ist mit seiner Frau zurückgekommen, weil die Eltern dort ein Grundstück haben. Sie haben sich entschieden, wieder herzukommen, obwohl sie damals in den Neunzigern super glücklich waren, Weißenfels zu verlassen. Und der hat mir einen Einblick gegeben in diese Widersprüchlichkeiten. Sie sind zurückgekommen und sitzen jetzt da und sagen, diese Stadt ist furchtbar, einfach nur elend. Man darf nichts machen, man kann nachts nicht allein in die Neustadt gehen. Überall sind Banden unterwegs. Rund um diesen Fleischhof Tönnies, der zweitgrösste Deutschlands, wohnen diese ganzen Subunternehmer und Leiharbeitermenschen mit Migrationsgeschichte, die in superschlimmen postfeudalen Abhängigkeitsverhältnissen stecken. Und so sieht die Umgebung auch aus. Und das überformt diesen gesamten Stadtteil, einer der vier wichtigen Stadtteile dieser Stadt. Er sagt, das ist eine No-go-area geworden. Das war schon so, das dort in den neunziger Jahren der Drogenhandel extrem stark war. Und der sagt, das interessanterweise jeden Tag Leute bei ihm klingeln und fragen, ob sie das Haus kaufen können. Und er sagt, dass sind alles Leute, die nicht deutsch sprechen und meistens Osteuropäer sind. Das ist wirklich interessant, was da gerade passiert. Ich kann es nur so wiedergeben, ich bin dem nicht nachgegangen, mir ist es nur hängengeblieben, weil ich fand es auch crazy.

 

Und dann eben nochmals die Dachrinne als Abbild der Verwahrlosung. Nicht mal die Dachrinne wird repariert, obwohl es das Einfachste ist und das Billigste und das Effektivste. Wenn du die Dachrinne in Schuss hältst ist das die halbe Mieter zur Instandhaltung des Hauses. Wenn du die Dachrinne nicht in Schuss hältst, geht es sofort ins Mauerwerk, ins Fundament. Nur weil man die Dachrinne nicht in Schuss hält, geht das Haus flöten. Das ist eigentlich völlig crazy. Das ist eigentlich auch so ein Bild meiner Kindheit, die vielen kaputten Dachrinnen. Ich weiß noch, wenn es geregnet hat und man ist an diesen Häusern vorbeigekommen, kam es wie eine Dusche runter. Und man hat sich immer gefragt, muss es eigentlich so und wer ist eigentlich zuständig? Warum ist diese Dachrinne kaputt?

Und hier sieht man nochmal diese uralten Fundamente, das ist richtiger Sandstein. Die Tür ist schief. Und wie lange ist die schon so? Es gibt ganz oft gar keine Klingel mehr. Lochbandverrammelung. Hier sehen wir noch die Klingel. Das finde ich übrigens richtig scharf, hier ist noch die Wäscheleine vor dem Fenster. Was ich an dem Bild schön finde ist, das man sieht, dass das ein superaltes Haus ist. Es muss im Zuge der Schlossbergerbauung entstanden sein. Man sieht das auch an diesen kleinen Fenstern, an den großen Steinen. Und und dann fallen zwei Sachen auf: Die Klingel. Ich weiß noch, nach 1990 wurden die überall eingebaut. Vor 1990 hatten wir diese Klingeln mit den kleinen runden Knöpfen, die blieben dann immer stecken. Deswegen wurden die ausgetauscht und dann gab es diese viereckigen Knopfklingeln. Und wenn ich das richtig sehe, sind das diese Viereckigen. Und das ist eigentlich auch schon ein historisches Zitat, diese Klingel. Und dann diese 19. Es hat nicht mal für ein richtiges Schild gereicht, es ist selber gemalt. Man fragt sich, wieso hat das nicht mal für ein Schild gereicht?

Diese Laderampe ist toll, gehört zum alten Sportladen. Das ist für mich so ein Indikator, das diese Stadt wirklich total im Arsch ist. Dieser Sportladen war für uns viel zu teuer, wir waren da nie einkaufen, aber wie in jeder kleineren oder Kreisstadt gab es so ein Sportgeschäft. Und dieses Gebäude ist so wichtig, weil es trennt diese Straße, es ist quasi der Spiegel zu der Straße, wo das Geleithaus ist. Das heißt, es ist eben auch ein ganz wichtiger Teil dieser historischen Innenstadt. Das sieht man auch schon am Pflaster und am Fundament dieser alten Felssteine. Ich finde dieses Pflaster ganz schön, das ist auch das Pflaster meiner Kindheit. Das sind dann eben diese Dinge, wo es dir einfach den Magen umdreht. Wo man denkt, das wäre doch jetzt der beste Platz, um einen schönen Laden zu haben. Max Weber hat gesagt: Die Stadt ist Markt, diese bürgerliche Idee von Stadt, Wandel durch Handel. Wo Markt ist, da ist Leben. Ich würde sagen, wo Leben ist, da ist auch Markt, weil Leute tauschen und Sachen herstellen. Aber das finde ich krass, weil du siehst so viele Läden. Ich wollte da als Jugendliche immer einen Second Hand Laden haben. Ich glaube, viele Jugendliche denken, ein eigener Laden wäre so schön. Und du siehst viele Läden in dieser Stadt. Sie sind alle nicht verfügbar und trotzdem geschlossen. Die Wohnungsnot in Deutschland ist das eine. Man fragt sich, wie kann das sein, das hier die ganze Innenstadt einfach leer steht? Die verrammelten Läden sind tatsächlich nochmal ein ganz brutaler Ausweis von: Hier ist kein Leben mehr. Niemand braucht es. Der Laden ist dicht.

Die Stromkabel, wir haben so viele offene Stromkabel in dieser Stadt gesehen, man denkt, man ist in einem anderen Land. Wann wurde das gebaut? 1545. Das sind schon mehr als 400 Jahre. Man traut sich das gar nicht zu sagen. Altstadtpassage, das ist wohl in den neunziger Jahren nochmal saniert worden, und jetzt sieht es so aus. Da in der Pizzeria haben wir unsere Pizzen gegessen. Da war die Eisdiele. Taschenmode. Der Taschenladen hat es auf wundersame Weise geschafft, ich weiß nicht warum. Und das erinner ich auch noch, das war noch alles intakt in den Neunzigern. Die letzten zwanzig Jahre haben es auch noch mal richtig runtergerockt. Das war ein teurer Schuhladen. Zum Goldenen Hirschen, ein ganz tolles Restaurant ist das gewesen. Das gute Design. Trendmode.

Das Aufwachsen in dieser Stadt hat auf jeden Fall etwas damit zu tun, was ich heute mache. Das Politische kommt natürlich von meiner Familie, aber die Erfahrungen in dieser zusammenbrechenden Stadt im Kontrast zu dem Erleben dann im Speckgürtel von Berlin, das hat mich zu der Erkenntnis gebracht: So ist kapitalistische Stadtverwaltung, die einen Städte sterben, die anderen wachsen. Who cares? Jeder muss zusehen, wie er von A nach B kommt. Und es gibt eine völlig dysfunktionale Verteilung von Raum und Mensch. Alle kommen nach Berlin, in Weißenfels steht alles leer. Wofür das da ist weiß kein Mensch, ist doch scheissegal, interessiert doch keine Sau. Es ist gewachsene Struktur, die aber durch die ganzen Zerwürfnisse jetzt völlig aufgehoben ist und ihrer Raumlogik beraubt. So wie auch das Schloss. Es macht vor niemandem halt. Und diese Erkenntnis von hier Leuchtturm, da Ghetto, das war für mich wirklich der Punkt, der mich dahin gebracht hat. Und diese Widersprüchlichkeit ist heute noch ein ganz wichtiger Referenzpunkt für mich.

Ich glaube, in der Überzeugung der Neunziger Jahren hätte man sagen können, wir sind nicht mehr die wichtige Residenzstadt, wir müssen uns neu erfinden, weil das neue System es von uns so knallhart verlangt. Weichen hätten deutlich anders gestellt werden können. Die Frage, die sich mir aufdrängt als Kind dieser Stadt ist ja, ob man das Grab mit diesem Konservatismus noch weiter geschaufelt hat. Warum hat man den Goldenen Hirsch nicht geöffnet? Warum hat man den Goldenen Ring nicht geöffnet? Warum hat man die ganzen tollen Häuser nicht den Bürgern übergeben? Die Menschen waren in den neunziger Jahren noch da, die hätten das noch machen können. Die hätten das auch selber repariert. Das hätte den Verfall nicht gestoppt, aber das hätte eine Gegenbewegung möglich gemacht. Jetzt ist es noch nicht ganz zu spät, aber es sollte ein Aufruf sein, die Eigentumsverhältnisse zu sortieren in der Innenstadt und wirklich zu schauen, ob man da nicht doch irgendwo die ganzen Spekulationspiralen unterbricht und Leben reinlässt.





 

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